Leo XIV: Verurteilung von Missbrauch, Kultur der Prävention und Lob des investigativen Journalismus
Papst Leo hat einen Brief geschrieben, der in Lima anlässlich einer Theateraufführung öffentlich verlesen wurde. In diesem Brief verurteilt er Macht- und Autoritätsmissbrauch, Missbrauch am Gewissen, spirituellen und sexuellen Missbrauch in der Kirche. Notwendig seien Wachsamkeit, transparente Prozesse und ein ernsthaftes Zuhören gegenüber den Betroffenen.
Das Theaterstück mit dem Titel Proyecto Ugaz, das vom 3.-29. Juni 2025 in Lima auf dem Spielplan stand, bezieht sich auf das Wirken der investigativen Journalistin Paola Margot Ugaz Cruz. Sie hat gemeinsam mit anderen Journalisten, darunter Pedro Salinas, zu der Neuen Geistlichen Gemeinschaft Sodalitium Christianae Vitae recherchiert und zahlreiche Fälle von sexuellem Missbrauch, körperlicher Misshandlung und Machtmissbrauch aufgedeckt und öffentlich gemacht. 2015 publizierte sie gemeinsam mit Pedro Salinas ein Buch, das Berichte und Zeugnisse von Betroffenen enthielt. Dies führte zu staatsanwaltlichen Ermittlungen in Peru, zu einer kirchenrechtlichen Untersuchung des Sodalitium durch den Vatikan, dann zum Ausschluss etlicher Führungspersonen, darunter der Gründer Luis Figari, und schließlich zur Auflösung der Gemeinschaft durch Papst Franziskus im April 2025.
Während der fünf Jahre andauernden Recherchen wurde Paola Ugaz massiv angefeindet, insbesondere in den sozialen Medien. Sie wurde diffamiert, verklagt und erhielt Morddrohungen. Im November 2022 bat sie Papst Franziskus um Hilfe für sich und drei weitere Journalist:innen, Pedro Salinas, Daniel Yovera und Patricia Lachira. Franziskus empfing die vier daraufhin im Dezember im Vatikan.
Leos Brief wurde von Kardinal Jordi Bertomeu, einem Mitarbeiter des Dikasteriums für die Glaubenslehre, verlesen, der gemeinsam mit dem maltesischen Erzbischof Charles Scicluna die kirchenrechtliche Untersuchung der Gemeinschaft durchgeführt hat. Der Papst dankte allen, die zur Entstehung und Aufführung des Theaterstücks beigetragen haben und würdigte es als Akt der Erinnerungskultur, der das Schweigen überwinde. Weiterhin dankte er allen, die trotz massiver Anfeindungen beharrlich an der Aufklärung weiter gearbeitet haben. Schließlich betonte er die Bedeutung eines investigativen Journalismus für die Wahrheitsfindung und für eine partizipative, demokratische Gesellschaft. Diejenigen, die in diesem Sinne arbeiten, sind in seinen Augen „Friedensbringer“, „Einheitsstifter“ und „Lichtstreuer“. Ihre Arbeit möge „Herzen aufwecken, Gewissen bewegen und uns helfen, eine Kirche zu bauen, in der niemand mehr im Schweigen leiden muss – und in der die Wahrheit nicht als Bedrohung, sondern als Weg zur Befreiung verstanden wird.“[1]
Was die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Kirche angeht, trifft er damit einen Nerv. Denn ohne den Einsatz investigativer Journalist:innen und überhaupt die Medien wäre auch in den deutschen Bistümern und woanders kein Stein ins Rollen gekommen. Dass diese Arbeit vom Papst in ihrer Bedeutung wertgeschätzt wird, gerade im Blick auf die Aufdeckung und Aufarbeitung jeder Form von Missbrauch in der Kirche, ist ein Hoffnungszeichen. Ich kann mich nicht erinnern, das von Männern der Kirchenleitung schon einmal so deutlich gehört zu haben.
Allerdings möchte ich auch darauf hinweisen, dass bereits viel früher gegen das Sodalitium hätte eingeschritten werden können und müssen.
Die Gemeinschaft wurde 1971 in Lima von Luis Figari gegründet. Sie verstand sich als Gegenbewegung gegen die Befreiungstheologie und gewann rasch großen Einfluss. Vom Vatikan und insbesondere Papst Johannes Paul II. wurde sie sehr geschätzt und 1997 offiziell anerkannt. Wie in vielen anderen Fällen hat sich Johannes Paul II. davon blenden lassen, dass es der Gemeinschaft gelang, ihre Priesterseminare zu füllen, während bekanntermaßen ansonsten die Zahl der Priesteramtskandidaten stark rückläufig war und ist. Vorwürfe, die sich auf sexuellen Missbrauch bezogen, wurden offensichtlich ignoriert. Dabei hatte bereits um die Jahrtausendwende eines der ersten Mitglieder des weiblichen Zweigs, die Theologin Rocío Figueroa, von sexuellem Missbrauch durch den Gründer berichtet, war aber lange Jahre von der Gemeinschaft zum Schweigen gebracht worden. Erst 2010 gelang es ihr, die Sache publik zu machen. Aber erst die Veröffentlichung von Ugaz und Salinas im Jahr 2015 bewegte etwas. 2023, also nach dem Hilferuf der Journalist:innen, schickte Papst Franziskus die beiden Sonderermittler zur Aufklärung nach Peru. Im August 2024 verfügte der Vatikan den Ausschluss Figaris aus der Gemeinschaft und einen Monat später den weiterer 10 Männer, darunter ein Bischof. Im April 2025 erfolgte das Verbot.
[1] Alle Zitate in: Papst: Kultur gegen Missbrauch in Kirche verankern – Dank an mutige Journalisten, 21. Juni 2025, https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2025-06/papst-leo-xiv-kultur-gegen-missbrauch-dank-an-journalisten.html#:~:text=Ein%20energischer%20Appell%20gegen%20jede%20Form%20von%20Missbrauch%2C,des%20Theaterst%C3%BCcks%20%E2%80%9EProyecto%20Ugaz%E2%80%9C%20in%20Peru%20beigesteuert%20hat , Zugriff am 25. Juni 2025
Zum Weiterlesen:
https://www.katholisch.de/artikel/62496-papst-leo-xiv-keine-form-von-missbrauch-in-der-kirche-dulden, 21. Juni 2025
https://www.katholisch.de/artikel/60883-dekret-in-rom-unterzeichnet-umstrittene-gemeinschaft-ist-geschichte, 15. April 2025
https://katholisch.de/artikel/60935-die-aufloesung-der-bewegung-sodalicio-durch-den-vatikan-laesst-hoffen, 17. April 2025
https://www.katholisch.de/artikel/55424-whistleblowerin-kritisiert-spaeten-ausschluss-von-sodalicio-gruender, 19. August 2024