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Missbrauchsfälle und der neue Papst

Datum:
15. Mai 2025
Von:
Prof. Dr. Lucia Scherzberg

Der neue Papst Leo XIV ist konfrontiert mit Vorwürfen, mit Fällen sexuellen Missbrauchs nicht korrekt vorgegangen zu sein. Die amerikanische Vereinigung von Betroffenen SNAP (Survivors‘ Network of Those Abused by Priests) weist darauf hin, dass Robert Francis Prevost im Jahr 2000 einem bekannten Mehrfachtäter gestattet habe, in ein Kloster der Augustiner in Chicago einzuziehen. Für die Aufnahme des Priesters, dem der Kontakt zu Kindern und Jugendlichen verboten worden war,  war die Zustimmung des Provinzialoberen, zu dieser Zeit Prevost, notwendig.[1] Eine Alternative zu diesem Kloster war vom Bistum abgelehnt worden, weil sich auf demselben Grundstück eine Schule befand. Nun lag im Fall der St. John Stone Friary eine katholische Grundschule weniger als einen Block entfernt. Als im Jahr 2002 in den USA nach den Enthüllungen des Boston Globe die Richtlinien verschärft wurden, durfte der Täter nicht länger im Kloster wohnen. Gegen ihn wurde ein kirchenrechtliches Verfahren eröffnet, dass zu seiner Entfernung aus dem priesterlichen Dienst führte.

Ein weiterer Vorwurf betrifft den Fall dreier Frauen, die in der peruanischen Diözese Chiclayo angezeigt haben, dass sie als Minderjährige von zwei Priestern sexuellen Missbrauch erfahren hatten. Hier sei nicht konsequent gehandelt, sondern vertuscht worden. Um die Betroffenen sei sich nicht gekümmert worden.

Hier gehen nun die Meinungen und Informationen weit auseinander.[2] Die Betroffenen sagten in einer Fernsehsendung im September 2024, dass ihre Fälle nicht bearbeitet worden sei und man sich nicht um sie gekümmert habe. Das Bistum Chiclayo widersprach umgehend dieser Darstellung und gab bekannt, dass 2022 eine kirchenrechtliche Voruntersuchung eingeleitet worden sei. Die Ergebnisse dieser Untersuchung wurden mit den Meldungen der Betroffenen an das Dikasterium für die Glaubenslehre gesandt, d.h. an diejenige Behörde im Vatikan, die seit 2001 für alle Fälle sexualisierter Gewalt und sexuellen Missbrauchs zuständig ist. Außerdem seien die Beschuldigten aus den Gemeinden entfernt und ihnen die Ausübung des priesterlichen Dienstes verboten worden. Die vatikanische Behörde stellte das Verfahren aus Mangel an Beweisen ein; zu dem gleichen Ergebnis war auch ein staatliches Verfahren gekommen.

Die Betroffenen widersprachen dieser Darstellung. Es habe keine Untersuchung stattgefunden und auch die behaupteten Maßnahmen seien nicht durchgeführt worden. Sie seien selbst nicht als Zeuginnen gegen die Beschuldigten gehört worden, und für die Maßnahmen existierten keine entsprechenden Dekrete. Aus welcher Quelle dieses angegebene Wissen stammt, ist nicht bekannt. Weiterhin sagten die Frauen, dass die an den Vatikan geschickten Dokumente so gestaltet worden seien, dass das Dikasterium nicht anders habe entscheiden können. Auch hier stellt sich die Frage, woher sie das wissen oder ob es sich um eine Vermutung handelt, die schwer nachzuprüfen sein dürfte.

Der kirchenrechtliche Anwalt der Betroffenen wurde von der peruanischen Bischofskonferenz seines Amtes enthoben, weil gegen ihn nicht weiter spezifizierte Vorwürfe wegen unerlaubter sexueller Handlungen vorlägen.

Der Missbrauch an den drei Mädchen geschah in der rechtskatholischen Gemeinschaft Sodalitium Christianae Vitae. Es handelt sich hierbei um eine sektenähnliche geistliche Gemeinschaft, die die „linke“ Befreiungstheologie bekämpfte. Sie wurde im Januar 2025 von Papst Franziskus aufgelöst. Laut dem Journalisten Pedro Salinas habe Prevost als Bischof daran maßgeblich mitgewirkt und sich immer um die Missbrauchsbetroffenen aus der Gemeinschaft gekümmert. Salinas vermutet deshalb, dass sich hinter den Vorwürfen eine gezielte Kampagne verberge. Auch Matthias Katsch von der Betroffenen-Initiative Eckiger Tisch gehört zu den Verteidigern des neuen Papstes. Gegenüber Zeit-Online äußerte er, dass Prevost sich als Bischof für die Betroffenen von Missbrauch und Gewalt in einer katholischen Sekte eingesetzt habe.

Eine endgültige Beurteilung fällt also schwer. Im Fall des Chicagoer Priesters handelt es sich kirchenrechtlich betrachtet, nicht um ein Fehlverhalten, aus der Perspektive eines betroffenensensiblen und präventiven Vorgehens aber zumindest um eine Instinktlosigkeit. Der Umgang mit den Fällen der drei Frauen ist schwieriger zu beurteilen; genauere Informationen wären notwendig. Wenn es zutrifft, dass eine kirchenrechtliche Voruntersuchung stattgefunden hat und die Ergebnisse nach Rom weitergeleitet wurden und zudem die Priester suspendiert wurden, hat sich Prevost als verantwortlicher Bischof korrekt verhalten. Der Verdacht einer Kampagne von Seiten des Sodalitium hat m.E. eine gewisse Plausibilität, aber Klarheit wird es darüber wohl nicht unbedingt geben.

Der Maßstab, an dem der neue Papst zu messen sein wird, ist sein weiterer Umgang mit der Missbrauchsthematik.


 
[1] Vatican congregation member allowed priest accused of child abuse to live near Catholic school, in: The Pillar v. 16. März 2021, https://www.pillarcatholic.com/p/vatican-congregation-member-allowed , eingesehen am 13. Mai 2025
[2] S. zum Folgenden David Agren, Cardinal’s former diocese denies claim of clerical sexuel abuse cover-up, in: National Catholic Reporter v. 18. September 2024, https://www.ncronline.org/news/cardinals-former-diocese-denies-claim-clerical-sexual-abuse-cover , eingesehen am 13.5.2025; Maria Mast, Zwei Missbrauchsfälle sorgen für Streit, in: Zeit Online v. 9. Mai 2025, https://www.zeit.de/2025-05/papst-leo-xiv-robert-prevost-missbrauchsfaelle-katholische-kirche , eingesehen am 13.5.2025; Marc Beise/Peter Burghardt/Annette Zoch, Die Last sei mit dir, in: Süddeutsche Zeitung v. 13. Mai 2025, S. 3